Blog from November, 2024

Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen hat am 04. November 2024 beim Fortbildungszentrum Eggensberger (FBZ) diesen Vortrag gehalten. Wir hatten lange nach einem Referenten gesucht, der jahrelange Kommunal-Erfahrung hat und ein kritischer Geist ist.

Sein Vortrag war sehr gut besucht, fast 100 Zuhörer waren anwesend und viele konnten sich über Video-Stream zuschalten. Download der Vortrag-Folien. Das Feedback der Besucher und Zuschauer war durchweg positiv: Palmer schilderte am Beispiel des Tübinger Klimaschutz-Programms “Tübingen macht blau 3.0” sehr anschaulich und lebendig die Hindernisse, die es zu überwinden galt.

Sie können auch das aufgezeichnete Video abspielen (LINK)

Klimaschutzkonzept

Seit 2006 als der OB in Tübingen erstmals gewählt wurde, hat sich die CO2-Emission pro Kopf und Jahr von ursprünglich 8,4 to auf 4,8 to in 2021 vermindert, in 15 Jahren also fast halbiert. Tübingen will bis 2030 klimaneutral sein: Die verbliebenen CO2-Emissionen dürfen dann nicht größer sein, als die CO2-Aufnahme der Natur (netto-null).

co2-entwicklung.jpg

Am wirkungsvollsten war die Reduktion im Bereich Strom; CO2 aus Wärme und Verkehr hat sie sich auch reduziert, aber sehr viel langsamer. Im Tübinger Klimaschutz-Konzept, das intensiv mit den Beteiligten abgestimmt wurde sind die einzelnen Maßnahmen beschrieben. Daraus stammen die Beispiele, die Palmer schilderte.

Beispiele Strom

Der langsame Ausbau von Photovoltaik-Flächen auf den Dächern sollte mit PV-Freiflächenanlagen beschleunigt werden. Restflächen an Autobahn-Auffahrten sollten dazu verwendet werden.

Beispiel “Lustnauer Ohren”

Planungszeit 8 Jahre
Bauzeit 8 Wochen

Die Aufsichtsbehörden hatten Bedenken geäußert bzgl Abstandsflächen, Naturschutz, Verkehrssicherheit und diverse andere Argumente. Jeder Einspruch muss von der Gemeinde über die Bezirksregierung, zu den Fachministerien in Stuttgart und Berlin und den Weg zurück finden.

In einem ca 20 km entfernten Waldgebiet planen die Tübinger Stadtwerke einen Windpark: 5 blaue Kreise in der Abbildung unten. Oben ist ein Symbol für ein Schloss eingetragen: Schloss Lichtenstein, das nach einem Roman gebaut auf einer Klippe steht.

Derzeit wird gestritten, ob die Windkraftanlagen, die für Schlossbesucher kaum sichtbar sein werden, eine zu große Beeinträchtigung darstellen. Es ist nicht absehbar, wann eine Baugenehmigung für die Windkraftanlage vorliegen wird.

swt-windpark.jpg

Beispiele Wärme

Im Bereich Fernwärme sind die Stadtwerke weniger von den Aufsichtsbehörden abhängig. Die Stadt kann weitgehend selbst bestimmen, wie die vorhandenen Netze auf erneuerbare Wärme umgestellt und erweitert werden.

Ausschlaggebend für den Ausbau der Fernwärme ist die Energiedichte im jeweiligen Netz. Bei einem Neubaugebiet hat die Stadt die Anschlüsse der Häuser verordnet, weil das Netz sonst unrentabel geworden wäre. Inzwischen sind die Anwohner dankbar für diese Art der Wärmeversorgung.

Die Bestandsnetze werden heute vor allem mit Kraft-Wärmekopplungs-Anlagen (KWK) geheizt. Die Netze sind heute mit mehr als 65% erneuerbarer Wärme beheizt, sollen aber noch weiter decarbonisiert werden, mit Solarthermie aus einer innenstadtnahen Fläche, mit Holzhackschnitzeln und einer Groß-Wärmepumpe, die Abwärme aus der Kläranlage nutzt.

Beim Fernwärmeausbau wird angestrebt, die Wärmeerzeugung am Stadtrand zu positionieren und über Fernwäremleitungen in die Innenstadt zu transportieren.

Beispiele Verkehr

Tübingen hat bereits viel Fahrradverkehr und will diesen weiter ausbauen.

Das spektakulärste Projekt ist eine Fahrradbrücke, die Altstadt und Universität mit den größten Wohngebiet im Nordwesten verbindet. Sie überquert Auto- und Eisenbahn, den Neckar ins Ammertal. Das Millionenprojekt wurde mit einer großzügigen Förderung eines Bundesprogramms zur Förderung des Radverkehrs in den Kommunen ermöglicht.

Der Vorrang für den Radverkehr auf einer Neckarbrücke wurde über 50 Jahre im Gemeinderat und in der Bürgerschaft hart diskutiert und dann schließlich akzeptiert.

Skurrile behördliche Auflagen behinderten das Projekt “Bewohnerparken” wo ein Ausweis hätte nicht digital angelegt werden dürfen. Das aber war die Voraussetzung für die Durchführbarkeit und die Kontrolle. Boris Palmer plädiert in solchen Fällen, unsinnige Vorschriften einfach zu ignorieren.

Die Anwesenden haben sich beim Referenten mit einem lang anhaltenden Beifall bedankt.

gez. U. Schaaf
fbz-Eggenbberger