Blog from February, 2025

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Im Wahlkampf 2025 waren die Fragen zur Migration für viele Mitbürger das wichtigste Thema. Die Attentate in Magdeburg und Aschaffenburg mit vielen Toten und Verletzten wurden von zugewanderten Asylbewerbern begangen. Der Aschaffenburg-Attentäter war wohl psychisch krank. In Mannheim war’s am Rosenmontag ein psychisch kranker Deutscher, der das Attentat verübte.

Einerseits braucht Deutschland die Zuwanderung, damit wir die Wirtschaft am Laufen halten können. Andererseits wächst die Angst vor möglichen Gefährdern. Wie sollen wir mit dieser Bedrohung umgehen?

Vergleich Deutschland - Schweiz

Der Umgang mit dem Aschaffenburger Attentäter wurde in der Süddeutschen Zeitung beschrieben: Das Aschaffenburg-Protokoll (LINK) zeigt den Umgang der deutschen Behörden und Einrichtungen mit dem afghanischen Gefährder Enamullah O. über die zwei Jahre seines Aufenthalts vor der tödlichen Messerattacke.

Das deutsche System wird dann mit einem Schweizer Beispiel verglichen, in einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) mit einem Polizisten aus Winterthur, der für die Gewaltprävention bei der Stadtpolizei verantwortlich ist. Die Vorgehensweise könnte nicht unterschiedlicher sein.

Das Verfahren in Deutschland

Im Protokoll der SZ ist festgehalten:

  • Enamullah O. war seit mehr als 2 Jahren in DE. Er war zuerst in Bulgarien eingereist und hätte laut Dublin-Regeln ein Asylverfahren dort durchlaufen müssen. Tatsächlich wäre das bereits im ersten Halbjahr 2023 möglich gewesen. Bulgarien hatte die Rücknahme akzeptiert.

  • In diesem ersten Halbjahr hatte O. vier Strafverfahren wg. Körperverletzung meist wg. Körperverletzung gegen Mitbewohner in der Asyl-Unterkuft. Die Verfahren wurden alle eingestellt.

  • Es folgen weitere Verfahren wegen erneuter Delikte. Die Polizei bringt O in eine psychiatrische Klinik, wo er unauffällig ist und freiwillig länger bleibt. Nach seiner Entlassung kommt es wieder zu Vorfällen, bei denen auch Polizisten verletzt werden. Er wird jetzt in die Psychiatrische Klinik in Aschaffenburg gebracht; sein Verhalten ergibt auch hier keinen Grund ihn länger festzuhalten. Die Kliniken bemängeln, dass es außerhalb der Kliniken kein Hilfesystem gibt, das die Menschen auffange.

  • Zuständig für den Gefährder O. ist neben der Berliner BAMF-Behörde (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) auch eine Zentrale Ausländerbehörde in Unterfranken. Die Kommunikation zwischen diesen Behörden ist nicht optimal: Die Nachricht, dass die Ablehnung des Asylbescheids rechtskräftig ist, braucht von Berlin bis Unterfranken über einen Monat. Dadurch wird die Frist bis zu der eine Abschiebung möglich ist zu knapp, weshalb die bayerischen Behörden auf einen Abschiebeversuch verzichten. Es wird ein nationales Asylverfahren veranlasst.

  • Das BAMF erfährt von den vielen Ermittlungen und den psychischen Krisen von O. nichts.

  • Die Staatsanwaltschaft und die Zentrale Ausländerbehörde unternehmen nichts weiter, weil O. angibt, freiwillig nach Afghanistan ausreisen zu wollen. Ein Gericht ordnet an, dass O. eine Betreuung erhält, weil er aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei seine Angelegenheiten zu besorgen.

  • Das BAMF stellt O. den Bescheid zu, dass sein Asylantrag abgelehnt sei und eine Abschiebung nach Afghanistan droht.

  • Er bleibt aber weiterhin auf freiem Fuß und kann das Attentat in einem Aschaffenburger Park begehen.

Es wäre jetzt leicht, ein behördliches Versagen festzustellen und Schuldige anzuklagen. Ich glaube aber dass es neben zweifellosen Fehlleistungen ein generelles Problem gibt, die Verteilung der Verantwortung auf zu viele Stellen und Personen. Mit dem Fall waren sicher mehr als 20 verschiedene Stellen oder Personen befasst. Es gab keinen direkten Ansprechpartner für den radikalisierten Mann.

Aus meiner Sicht bräuchte es für eine solch labile Person persönliche Ansprechpartner, die problematisches Verhalten erkennen und entsprechende Maßnahmen veranlassen können.

Ein Beispiel aus der Schweiz

In der NZZ wurde ein Polizist aus Winterthur, Oliver Wälchli interviewt. (LINK):
Wälchli spricht potenzielle Gewalttäter im familiären und politischen Bereich direkt an, damit Gewalttaten gar nicht erst vorkommen. Ein komplett anderer Ansatz zum Umgang mit dem Gefährder-Problem, dezentral und persönlich.

Wälchli ist für Gewaltprävention bei der Stadtpolizei zuständig. Seine Dienststelle, die Abteilung Gewaltschutz wurde 2018 mit zunächst zwei Mitarbeitern gegründet, jetzt ist sie auf 11 Mitarbeitende angewachsen. Auch eine forensische Psychologin ist mit dabei.

Ein Großteil der Arbeit besteht darin häusliche Gewalt zu verhindern. Radikalisierte Personen sind seltener.

Die Polizeistelle erhält Informationen von Jugend- oder Sozialämtern, Behörden, Eltern oder aus Asylzentren und machen dann eine Gefährderansprache. Sie gehen persönlich auf die jeweilige Person zu, drücken ihre Besorgnis aus und machen auf Konsequenzen aufmerksam. Diese wird dabei in ihrem Umfeld möglichst nicht bloßgestellt.

Oft führt diese Kontaktaufnahme durch die Polizei schon zu einer Entspannung.

Es gibt aber auch Fälle, die sich nicht mit einem Gespräch erledigen lassen. Es gibt durchaus sog. ‘Langzeitkunden’ die über mehrere Jahre betreut werden, weil ein Eskalationsrisiko bleibt.

Die Interviewer fragen Wälchli, ob er als vertrauter Ansprechpartner nicht mit seiner Rolle als Polizist in Konflikt kommt. Manchmal wird er für seine ‘Klienten’ auch zum ‘persönlichen Polizisten’; er habe schon mitten in der Nacht Anrufe bekommen, weil die Person Liebeskummer hatte. Da müsse er sich natürlich abgrenzen.

Zum Schluss meint Wälchli:
”Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Wir können nicht in Menschen hineinsehen. Und wir können gewaltbereite Personen auch nicht einfach wegsperren oder dauernd observieren, wie das manchmal nach Attentaten gefordert wird.”

Ob Enamullah O. von Herrn Wälchli durch den persönlichen Kontakt von seiner Tat abgehalten worden wäre, wissen wir nicht. Ich kann mirs aber vorstellen.

Was soll man ändern?

Es ist mir klar, dass Deutschland und die Schweiz nur begrenzt vergleichbar sind. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Schweizer pragmatischer und effizienter vorgehen.

Es gibt viele Vorschläge, wie man mit Asylbewerbern und radikalisierten Menschen umgehen soll, dass man sie z.B. früher in den Arbeitsmarkt eingliedert oder eben schneller abschiebt. Da gibt es sicher viele vernünftige Vorschläge.

Aus meiner Sicht ist jedoch die Verteilung der operativen Verantwortung auf zu viele Stellen das Hauptproblem: Die Zuständigkeiten werden so vielen Stellen und Personen zugewiesen, bis hinterher niemand mehr verantwortlich ist.

Diese Art der Problemlösung verstärkt auch ein riesiges Sekundär-Problem, das uns alle stört, die Bürokratie.

Es sei daher die Frage erlaubt, ob nicht mehr Verantwortung - und Geld - nach unten verlagert werden kann: Das Subsidiaritäts-Prinzip. Wir brauchen dann kompetente Stellen und Mitarbeitende auf Kommunalebene wie in Winthertur. Und die müssen von uns, der Zivilgesellschaft unterstützt werden: Eine Illusion?

Wir haben in vielen Bereichen ein teures und schlecht funktionierendes System, ganz gleich welche Partei regiert.

Christian Pestalozza wird im Handelsblatt zu einem Artikel im Umgang mit Extremismus zititert:

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gez. U. Schaaf